Haushaltsrede zum Haushalt 2012 der Stadt Netphen

Rat Netphen, Ekkard Büdenbender

Rede zum Haushalt 2012 der Stadt Netphen
22.03.2012
Ekkard Büdenbender, DIE LINKE.

 
 
Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger,  
 
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, liebe Ratskolleginnen und Kollegen  
 
Der Haushaltsentwurf für das Jahr 2012 liegt uns vor und genau wie bei den letzten Entwürfen besteht die Hauptaufgabe des Kämmerers scheinbar darin, positive Prognosen für die Zukunft zu treffen, um dem System zu bescheinigen, dass es noch nicht am Ende ist. Doch glauben kann er selbst diesen Prognosen wohl schon lange nicht mehr und so warnt er uns Jahr für Jahr in seinen Ausführungen immer wieder vor den wirklichen Perspektiven, bzw. vor der Perspektivlosigkeit. Aber scheinbar muss er sich erst öffentlich verbrennen, bevor jemand seine Warnungen  ernst nimmt.
 
Ich habe bereits in meinen letzten Haushaltsreden darauf hingewiesen, dass unsere Aufgabe nicht darin bestehen darf, einfach alles abzunicken und den schwarzen Peter an die Bevölkerung weiterzureichen. Ich habe darauf hingewiesen, dass unser Eid der Stadt und nicht einer Partei gilt.
 
Ich habe versucht aufzuzeigen, dass unser kommunales Finanzproblem ein globales Problem ist, dass der Demokratie der Geldhahn zugedreht wird. Bereits letztes Jahr habe ich darauf hingewiesen, dass Griechenland in die Unmündigkeit getrieben wird und dass alle erzwungenen Schritte den Gestaltungsraum und die Zukunftsaussichten des Landes ruinieren werden. Und tatsächlich wurden die Einnahmemöglichkeiten des Staates  Stück für Stück verscherbelt, um den Banken und Zockern ihr Geld zu geben. Massenentlassungen, Abbau des Sozialsystems, Armut und Obdachlosigkeit verändern das Gesicht des Landes immer mehr. Streiks sind an der Tagesordnung. Wir kennen die Bilder der verzweifelten Demonstranten. Der beginnende Zusammenbruch des Gesundheitssystems sorgte Ende Februar dafür, dass in der nordgriechischen Stadt Kilkis die Belegschaft eines Krankenhauses, vom Ärzteteam bis zu den Reinigungskräften, ihr Krankenhaus für besetzt erklärte. Der Lohn war teilweise auf 8 Euro im Monat reduziert worden. Zwei Wochen später wurden unter Druck der EU weitere drastische Einsparungen im Gesundheitswesen beschlossen. Griechenland kollabiert.  
 
Wer nun denkt, dass Griechenland weit weg ist, dass die Griechen ihre Probleme ausschließlich selber gemacht haben, dass uns das nicht treffen kann, dass deutsche Städte nicht pleite gehen können, der täuscht sich.
 
35 Kommunen in NRW sind faktisch pleite. Drei Kommunen bekamen letztes Jahr bereits keine Kredite mehr bei Banken. Das z.Z. diskutierte Hilfsprogramm des Landes hört sich bereits sehr griechisch an. Städte, die sich seit Jahren im Nothaushalt befinden, freiwillige Leistungen nur noch aus Erzählungen der älteren Ratsmitglieder kennen, sollen jetzt finanzielle Zuwendungen erhalten, die sie verpflichten, für jeden gewährten Euro 2-3 Euro im Haushalt einzusparen. Auf Netphen übertragen hieße dies, um das Defizit von rund 6 Millionen ausgleichen zu können, erhält Netphen rund 1-2 Millionen Euro Hilfe, muss aber gleichzeitig 4-5 Millionen Euro im aktuellen Haushalt einsparen, sprich streichen. Jeder hier kann sich ja mal Gedanken darüber machen, wo wir diese Summen einsparen könnten. Schwimmbad weg, sämtliche freiwilligen Leistungen weg und anschließend könnten wir im Rathaus Räume vermieten, denn dort stünden einige Büros zukünftig leer, die Angestellten säßen weggekürzt auf der Straße, in Griechenland ist das rund jeder Dritte. Ich bitte Sie auch hier schon einmal zu überlegen, in welcher Reihenfolge wir die Kündigungen verschicken wollen.  
 
Denn ebenfalls geplant sind bereits die Maßnahmen, die ergriffen werden, wenn die Einsparungen nicht hart genug durchgeführt werden. In diesem Falle wird der Rat unter die Vormundschaft eines Sparkommissars gestellt, der am Rat vorbei entscheiden darf und muss. Wie gesagt, in NRW, nicht in Griechenland.
 
Doch während wir all diese Schlagzeilen in den Zeitungen lesen, die Hintergrundberichte in Sondersendungen zur besten Sendezeit verfolgen können, in den Haushaltsentwürfen auch für die kommenden Jahre eine Zunahme der Verschuldung angekündigt bekommen, spielen wir Potemkin, wir errichten und renovieren nur noch Fassaden. Von einer wirklichen Mitbestimmung, einer selbständigen kommunalen Verwaltungen, von zukunftsorientierter Gestaltung will hier doch wohl niemand mehr sprechen.
 
Doch anstatt dagegen vorzugehen, dass seit Jahren die Ausgaben die Einnahmen übertreffen, statt endlich zu realisieren, was es für eine Gesellschaft bedeutet, wenn sie nicht mehr entwickelt, sondern abgewickelt wird, streiten wir über die Höhe der Abwassergebühren, als ob wir damit darüber hinwegtäuschen könnten, dass uns das Wasser längst bis zum Hals steht.
 
Wenn ich mich in meinem Umfeld umschaue, so sehe ich nirgendwo mehr einen Menschen, dem die allgemeine, aktuelle Entwicklung behagt. Eine große, stetig wachsende Besorgnis macht sich breit. Sie manifestiert sich an den Tankstellen, wo niemand mehr an einen freien Markt glaubt, sie äußert sich bei den immer deutlicher werdenden Mitnahmepraktiken unserer Spitzenpolitiker, bei der immer offener werdenden Verstrickung von Politik und Wirtschaft, sie wächst angesichts der nicht gelösten Probleme im Bereich der Pflege, der Bildung und Kinderbetreuung, der Rente und der Gesundheitssysteme.
 
Die Politikverdrossenheit, bzw., die Parteienverdrossenheit wächst doch nicht von Jahr zu Jahr, weil kommunale Politiker am laufenden Band spektakuläre Entscheidungen treffen. Im Gegenteil, mittlerweile hat doch wirklich jeder das Gefühl, dass jetzt endlich Entscheidungen getroffenen werden müssen, bevor etwas passiert. Doch es geschieht nichts. Überall im Land wird über Politik gesprochen, nach Lösungsmöglichkeiten gesucht, nur nicht in den Räten. Dort hat zwar jeder Antworten, doch keiner stellt mehr Fragen.
 
In Zeiten, in denen die „große“ Politik milliardenschwere Schirme aufspannt, um uns den Blick auf die Realität zu nehmen, in Zeiten in denen unsere politischen Eliten sich für befugt halten, Todesurteile zu fällen und zu vollstrecken, in einer Zeit, in der Milliarden Euro an den Parlamenten vorbeigeschleust werden, um den Konzernen ihr Recht auf freie Selbstentfaltung zu gewährleisten, während woanders Millionen vor Hunger verrecken, in dieser Zeit, lassen wir uns hier einfach zu Konkursverwaltern und Erbsenzählern degradieren. Ein Leitbild wollte sich diese Stadt verschaffen, doch wozu, wenn wir nicht einmal das Geld dafür hätten, um die Ortsschilder neu zu beschriften.   

Und heute diskutieren wir über den Haushaltsentwurf und das „Sicherungskonzept“. - Jetzt mal ganz ehrlich, was sollen wir denn mit diesem Konzept sichern, wenn nicht unsere eigene Unmündigkeit. Worin liegt denn der eigentliche Sinn einer Haushaltsdebatte, wenn nicht in der einfachen Frage, ob dieser Haushalt der Stadt nützt oder schadet.
 
Wenn ich auf die Seite der Ausgaben blicke, dann kann ich nicht behaupten, dass mit dem Geld viel Schaden angerichtet wird, ich sehe keine maßlose Verschwendung von Steuergeldern, keine einseitige Förderung weniger Privilegierter. Ja, unsere Ausgaben, vor allem im Transferbereich, sind dramatisch gestiegen, wie überall im Lande. In den letzten 20 Jahren sind die Ausgaben der Kommunen in NRW um rund 300% angewachsen, allein die Sozialausgaben haben sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Über die Gründe, die dazu geführt haben, möchte ich heute gar  nicht streiten.
 
 
Wenn wir aber mal gemeinsam auf die Einnahmeseite blicken, dann wissen wir, warum wir hier sitzen und worüber wir wirklich reden müssen. Die Einnahmeseite hat sich nämlich nicht ganz so schön entwickelt, den 300% auf der Ausgabenseite stehen hier Steigerungen von nur 130% gegenüber, hier befindet sich das Problem unseres Haushaltes. Seit Jahren wird das Konnexitätsprinzip von Bund und Land missachtet, seit Jahren wird der Anteil der Kommunen am Gesamtsteuersatz immer weiter herabgesenkt, seit Jahren werden die Kommunen, und somit die demokratische Basis des Landes kaputtgespart.  
 
Und dadurch schadet dieser Haushalt unserer Stadt. Er schadet ihr kurzfristig, er schadet ihr mittelfristig und er wird ihr auch langfristig schaden. Diesen Haushalt können wir nicht annehmen, ohne unseren Eid zu brechen.
 
Auf Zeit zu spielen, damit das Problem sich von alleine löst, würde uns innerhalb von wenigen Jahren in eine Situation bringen, in der wir überhaupt keinen Handlungsspielraum mehr hätten, denn die Schuldenbremse wird wunschgemäß unsere kommunale Selbstverwaltung weiter beschneiden, den Demokratieabbau beschleunigen. Auf eine neue Landesregierung zu warten und zu hoffen, dürfte vergebens sein. Im Gegenteil, es wird für uns nicht von Bedeutung sein, wer im Landtag sitzt, wer welchen Ministerposten ergattert, sondern einzig und allein, ob es uns endlich gelingt, gemeinsam Kommunalpolitik zu betreiben, und endlich unser Mandat und unsere damit eingegangene Verpflichtung ernst zu nehmen.
 
Die letzten zwei Winter haben wir bereits von Notstand gesprochen, bloß weil wir kein Streusalz mehr hatten. Das kam uns wirklich wie ein ernsthaftes Problem vor. Lächerlich!  
 
Wir sind in Deutschland alle mit dem Gefühl groß geworden, dass es für jedes Problem irgendwo jemanden gibt, der dafür zuständig ist, es zu lösen. Dieses Problem, meine Damen und Herren, ist unser Problem. Wir wurden gewählt, um es zu lösen. Wir wurden nicht gewählt, um das Problem zu vertuschen oder auf die nächste Generation zu verschieben. Wir haben uns freiwillig wählen lassen, niemand hat uns gezwungen.
 
Wir haben letztes Jahr bereits zwei Anträge verabschiedet, mit denen unsere Verwaltung beauftragt wurde, bei Bund und Land die Einhaltung unserer verfassungsmäßigen Rechte zu fordern. Wir haben sie einstimmig beschlossen, weil wohl schon letztes Jahr jeder das Gefühl hatte, dass es so nicht weitergehen darf. Doch es ist so weiter gegangen.
 
Laut Satzung darf ich keine Anträge mehr stellen, deshalb, liebe Ratskolleginnen und Ratskollegen, kann ich sie nur bitten, stimmen sie diesem Haushalt nicht zu. Es ist an der Zeit, dass endlich jemand in diesem Land sagt, „Bis hierhin und nicht weiter!“ Lassen sie uns die Abwärtsspirale anhalten bevor es zu spät ist. Lasst uns diesen Haushalt ablehnen und für die Rechte, - und für das Geld, unserer Stadt kämpfen. Lassen sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass unsere Kommunen endlich wieder das werden, was sie sein sollten, nämlich der Sockel auf dem unsere Gesellschaft aufbaut.  
 
Kurt Tucholsky hat einmal gesagt: „Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und zu sagen ‚NEIN’.“
 
Ich persönlich denke aber sogar, dass wir uns, wenn wir heute endlich geschlossen NEIN sagen, nicht im Gegensatz, sondern vielmehr auf der Höhe unserer Zeit befinden.