Offener Brief an die Siegener Zeitung

Ullrich Georgi / DIE LINKE. KV Siegen-Wittgenstein

Sehr geehrter Herr Vogt,

ich bin seit Jahrzehnten Leser und Abonnent der Siegener Zeitung und habe mich in der langen Zeit oft genug über den einen oder anderen Beitrag geärgert und das nicht nur, weil ich politisch eher auf einer anderen Seite stehe. Bislang habe ich mir immer gesagt, dass man auch mal was „aushalten“ muss, aber die großformatige Anzeige in der Ausgabe ihrer Zeitung vom 19. August 2020 hat dieses Fass des „Aushaltens“ endgültig zum Überlaufen gebracht.
Selbst wenn die Redaktion meint, dass die im Text der Anzeige wiedergegebenen Äußerungen keine strafrechtliche Relevanz hätten, so hätte Ihnen doch auffallen müssen, dass jemand, der mit der Äußerung „Kriminelle von der Straße“ indirekt zur Einrichtung von Internierungslagern aufruft, kaum auf dem Boden des Grund­gesetzes stehen dürfte. Ein Blick in unsere Geschichte zeigt, wohin solche Forderungen letztlich führen können. „Kriminell“ ist bei uns jemand, der in einem Strafverfahren rechtsgültig schuldig gesprochen wurde und die dabei verhängte Strafe verbüßt oder verbüßt hat. Bis auf die „Sicherungsverwahrung“ bei besonders schweren Straftaten sieht unser Rechtssystem weitere Einschränkungen nicht vor -und das sollte auch so bleiben.
Noch problematischer ist aus meiner Sicht die Bemerkung in der Anzeige „Ende des Toleranzgeplärres“.  Wie ohne Toleranz gegenüber dem Denken und Handeln anderer Menschen die Grundrechte aus Art. 1, 3 und 4 des Grundgesetzes mit Leben erfüllt werden können, erschließt sich mir nicht. Toleranz ist für mich der Sammelbegriff für das Geltenlassen anderer Anschauungen, Normen, Werte und Handlungen und somit eine wesentliche Grundlage unserer sozialen und politischen Ordnung. Wer das in Frage stellt, zeigt, wes Geistes Kind er ist, und er ist zumindest dabei, den Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu verlassen.

Allein diese beiden Beispiele hätten Ihnen Veranlassung geben können, den Abdruck der Anzeige zu verweigern, aber wie heißt es an anderer Stelle so treffend: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“.
Im politischen Diskurs wird man die oben zitierten Äußerungen hinnehmen müssen, aber da kann man sich auch mit ihnen direkt Auseinandersetzen. Bei einer Anzeige sollten aber doch andere Maßstäbe angelegt werden. Der fast schon „verschämte“ redaktionelle Hinweis auf Seite 4 der SZ vom 20.08. reicht mir als Rechtfertigung für den Abdruck jedenfalls nicht aus, so dass ich hiermit mein Abonnement zum nächstmöglichen Zeitpunkt kündige.

Mit freundlichen Grüßen

Ullrich-Eberhardt Georgi

Der vollständige Brief hier als Datei.