Aufruf - 1. Mai 2020

Ramsis Kilani, KV Siegen-Wittgenstein

Die Welt verlangt nach einem Wandel hin zu einer Gesellschaft, in der alle Menschen gleich behandelt werden. Eine Gesellschaft, in der die Daseinsvorsorge und der Schutz unserer Mitmenschen und Umwelt im Mittelpunkt stehen, in der die Wirtschaft demokratisch organisiert und eine freie Entfaltung unserer Persönlichkeit möglich ist.

Die Corona-Pandemie beweist einmal mehr, wie krisenanfällig die kapitalistische Gesellschaftsordnung ist. Kaputtgesparte Krankenhäuser, der Preisanstieg und Ausverkauf von lebensnotwendigen Produkten wie Schutzmasken und die Existenzkrise von Millionen Lohnabhängigen und Kleinunternehmern offenbaren die Unfähigkeit des freien Marktes, selbst grundlegende menschliche Bedürfnisse zu schützen.

Statt flächendeckend für kostenlose Covid-19-Tests, Medikamentenversorgung und Grundsicherung für alle zu sorgen, halten die Staatschefs dieser Welt am Zwang zur Wettbewerbsfähigkeit fest und verschieben die eigene Verantwortung auf andere Länder oder individuelle Verhaltensweisen der Bevölkerung. Die Privatisierung und Profitorientierung des Gesundheitswesens findet hingegen keine Erwähnung, obwohl selbst neoliberale Regierungen zugeben müssen, dass der Markt rein gar nichts regelt und sie offen über Verstaatlichungen nachdenken müssen.

Plötzlich werden Beschäftigte in Einzelhandel, Pflege und anderen Teilen des sogenannten kritischen Sektors als "systemrelevant" anerkannt, ohne dass sich das in ihrer Bezahlung zeigt. Für diese Menschen, die aktuell für die Grundversorgung aller sorgen, und die anderen lohnabhängig Beschäftigten steht der 1. Mai, der Tag der Arbeit.

Auch in Siegen möchten wir den 1. Mai nicht als Feiertag begehen, sondern als internationalen Kampftag der Arbeiterklasse. Mitten in der Corona-Krise wehren sich Beschäftigte in Italien, Spanien, Griechenland und anderen Ländern mit Streiks dagegen, dass ihre Gesundheit für die Kapitalmaximierung milliardenschwerer Unternehmen geopfert wird. Das Versagen der Regierungen in der Krise hat nicht nur in der Industrie zu einem neuen Klassenbewusstsein geführt.

Auch im sogenannten kritischen Sektor, der überproportional von weiblichen und migrantischen Beschäftigten aufrechterhalten wird, wächst die Frustration. Immer noch erhalten Frauen in Deutschland durchschnittlich 21 Prozent weniger Gehalt als Männer. Immer noch erzielen Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft ein bis zu 44 Prozent geringeres Durchschnittsgehalt als deutsche Beschäftigte derselben Qualifikationsstufe. Immer noch besitzen in Deutschland 45 Superreiche so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung, während die Kluft zwischen Arm und Reich weiter wächst.

Während Großkonzernen von der Bundesregierung Milliardenbeträge zugesichert werden, muss der ärmste Teil der Bevölkerung, der ohnehin am meisten unter der Corona-Krise leidet, sich auf weitere Umverteilung von unten nach oben einstellen. Gleichzeitig rüstet die EU ihr Grenzregime weiter auf, um zu verhindern, dass Zehntausende Geflüchtete, die dem Corona-Virus in dichtgedrängten Lagern ausgeliefert sind, in Europa Schutz suchen.

Diese Entwicklungen machen in Deutschland und weltweit die soziale Ungerechtigkeit noch sichtbarer. Sie zeigen uns, dass die Grenze zwischen den Menschen nicht zwischen Ethnien und Nationen verläuft, sondern zwischen Arm und Reich. Das Überleben von unzähligen Menschen steht auch jenseits der Corona-Krise auf dem Spiel. Die volle Wucht der viel gefährlicheren ökologischen Krise und eine Weltwirtschaftskrise ungeahnten Ausmaßes stehen uns bevor.

Doch auch in Siegen regt sich Widerstand. Angesichts des Versagens des ausgedünnten Sozialstaates organisieren sich Menschen in Nachbarschaftshilfen selbst. Der Begriff der Solidarität erfährt auch in der lokalen Notinitiative „Solidarität und Nachbarschaft“ (SoliNa) eine Wiederbelebung, die Ältere und Prekarisierte unterstützt. Die Solidarität endet nicht an den Außengrenzen und gilt auch Geflüchteten. PflegerInnen gewinnen ein neues Selbstbewusstsein und beschweren sich über die unzumutbaren Arbeitsverhältnisse im Gesundheitssystem.

Linke Gruppen zählten zu den Ersten, die Online-Veranstaltungen anboten und auch Gewerkschaften treiben die digitale Reorganisierung voran. Als Linksjugend ['solid], Die Linke.SDS und DIE LINKE sehen wir uns als Teil des Kampfes für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne, für internationale Solidarität und für eine demokratisch-sozialistische Alternative zum Kapitalismus.