Offener Brief zu dem Tötungsdelikt an Luise F.

Kreisvorstand DIE LINKE. Siegen-Wittgenstein

Voller Trauer und Fassungslosigkeit haben wir von Luises Tod erfahren. Völlig unvorstellbar, welchen Schmerz die Angehörigen durchleben. Ohne Zweifel stellen sich durch die Täterschaft zweier Bekannten von Luise im gleichen Alter viele Fragen. Eine Ausnahmesituation für alle Betroffenen und auch unsere Region, die durch die starke Eigendynamik global in allen Medien bekannt wurde. Der trauernden Familie und den geschockten Freund*innen der Getöteten gehört unser ganzes Mitgefühl. Worte sind nicht ausreichend, um unsere Betroffenheit auszudrücken.

Neben der persönlichen Tragödie spielt sich jedoch auch ein sehr öffentliches und gesellschaftliches Ereignis ab – nämlich eine unkontrollierte Situationsentwicklung im Bereich der Medien und des gesellschaftlichen Diskurses über Verschärfung der Strafunmündigkeit.

Die Tat und der weitere Verlauf umfassen mehrere Aspekte, die uns veranlassen, Stellung zu beziehen:

Die mediale Aufarbeitung insbesondere durch die Tageszeitung „Siegener Zeitung“:

Sehr schnell wurde über den Todesfall in der hiesigen Presse berichtet. Mit Bekanntwerden von zwei Täterinnen im strafunmündigen Alter wurden in Facebook allein Dienstag und Mittwoch (14. und 15. März) jeweils 7 Artikel zu dem Thema geschaltet. Kommentare wie „Ich würde es keinen Vater der Welt verübeln, wenn dieser die beiden Täter hinrichten würde“ blieben minutenlang online lesbar und der User konnte auch später noch unbehelligt kommentieren. Weiterhin wurde mind. ein Foto einer mutmaßlichen Täterin mit einem rassistischen Kommentar eingestellt – ebenfalls für einen längeren Zeitraum. In unzähligen Kommentaren fordern Kommentierende unverhältnismäßige Härte und/oder die Eltern zu belangen, bezeichnen die Täterinnen als „Monster“ oder beschimpfen gemäßigte Kommentator*innen. Da hier sowohl das Opfer als auch die Täterinnen minderjährig waren bzw. sind, erwarten wir von der örtlichen Presse eine besondere administrative Verantwortung. Ein solch emotionales Thema derart rücksichts- und verantwortungslos auszuschlachten, halten wir für unangemessen und für niemanden hilfreich. Es wäre durchaus möglich gewesen, Kommentare vor Veröffentlichung zu sichten bzw. sehr zeitnah zu löschen. Oder sogar die Kommentarfunktion für alle einzustellen. Online-Artikel mit Kommentarfunktion unterliegen auch den publizistischen Grundsätzen (Pressekodex). Zudem verweist die SZ selbst in der Community Richtlinie auf einen respektvollen Umgang ohne Verunglimpfung und Beleidigungen. Eine zuverlässige Administration hätte die Zeitung als ihre oberste Pflicht ansehen und installieren müssen. Zurückhaltung und Seriosität wäre in einem solch sensiblen Fall absolut von Nöten gewesen und nicht das Schüren von Vorurteilen und Hass.

Die Stimmung hat sich so aufgeheizt, dass die Familien der Täterinnen inzwischen den Wohnort verlassen haben. Wir alle müssen dazu beitragen, dass der Umgang mit dieser Tat menschlich und vernünftig bleibt.

Die betroffene Schule/die Jugendarbeit/das Jugendamt:

Es wird im Umgang mit dieser Gewalttat deutlich, dass sowohl Gewaltprävention als auch psychologische Nachsorge wichtige Themen sind. Obwohl die Motive nicht gänzlich bekannt sind, zeigt sich, dass in Schulen/Klassenverbänden Situationen entstehen können, die außer Kontrolle geraten. Verstärkt werden müssen bedarfsorientierte Angebote an den Schulen und in der Freizeit.  Geld und Personal müssen in ausreichendem Maße für den Kinder- und Jugendbereich vorgehalten werden. Auch Familien in Not müssen begleitet werden. Schulpsycholog*innen und Angestellte im Jugendamt sollen es schaffen, alle Bedürftigen angemessen zu versorgen ohne in Zeitdruck zu geraten. Das Jugendamt darf nicht unter dem Wirtschaftsfaktor beurteilt werden, sondern nach dem Gesichtspunkt der zeitnahen, gelungenen Versorgung.

Für die Esther-Bejerano-Schule wird es ein schwieriger Weg zurück zur Normalität werden. Hierfür ist jede Unterstützung zu gewährleisten.

Wir wünschen uns auch einen engen Austausch in den politischen Gremien, wie sowohl die Schulberatungsstelle als auch die professionelle Jugendarbeit ihre Ausstattung sieht und wo Defizite herrschen.

Einhaltung Persönlichkeitsrechte:

Wir fordern alle User*innen im Netz auf, Spekulationen keinen Raum zu geben und vertrauliche Informationen nicht weiterzuleiten. Wut und Hass sind keine guten Ratgeber. Die gemeinsame Trauer jedoch verbindet.

Strafmündigkeit herabsenken:

Das lehnen wir grundsätzlich ab. Immer wieder wird bei schlimmen Verbrechen, die von unter 14jährigen begangen werden, diese Diskussion entfacht. Diese Straftaten sind zu selten, als dass hieraus ein Trend erkennbar ist. Eine grundsätzliche frühere geistige Reife von Kindern lässt sich wissenschaftlich nicht belegen. Eine Herabsetzung würde jedoch alle Kinder treffen und es würden auch in minderschweren Fällen Ermittlungsverfahren eingeleitet. Zumal ist es völlig ausgeschlossen, dass unter 14jährige in einen regulären Strafvollzug gehen können. Wichtig für Kinder in diesem Alter ist eine Sanktionierung der Tat, die der Reife angemessen ist, verstanden wird und nachhaltig wirkt. Ebenso muss die gesamte Familie in den Blick genommen werden. Die Inobhutnahme zur ersten Klärung und Aufarbeitung ist die richtige Maßnahme, weitere psychologische Hilfe muss erfolgen. Gegen die Strafmündigkeit mit 12 Jahren sprechen sich auch die Dachverbände der Psycholog*innen und Richter*innen aus.

Für uns stellt sich besonders die Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung. Gewaltfreiheit in Erziehung, Schule und Alltag sollte Vorbild für Kinder sein. Alle an der Erziehung beteiligten Stellen müssen gestärkt werden. Medienkompetenz darf nicht ein Produkt des Zufalls sein, sondern Ziel des Lehrplans.

gez.
Kreisvorstand DIE LINKE. Siegen-Wittgenstein
Kathrin Vogler (MdB), Landessprecherin DIE LINKE. NRW
Sascha H. Wagner, Landessprecher DIE LINKE. NRW