Diskussion über die "Flüchtlingskrise" mit Dr. Holger Finkernagel am 2. Februar 2016

Susanne Schmitt

Mehr Mitgefühl für Flüchtlinge forderte Dr. Holger Finkernagel auf einer Veranstaltung zur Flüchtlingspolitik, zu der die LINKE.Kreuztal in den Bürgertreff „Unter uns“ in Kreuztal-Fellinghausen eingeladen hatte. Dr. Finkernagel kümmert sich seit Bestehen der Erstaufnahmeeinrichtung in Bad Berleburg um die medizinische Versorgung der Flüchtlinge dort und hat seitdem viel Leid gesehen und sich viele traurige Geschichten anhören müssen.

In seinem Vortrag ging er zunächst auf die Vorgeschichte der Kriege ein, wegen der die Flüchtlinge zu uns kommen. Welche Bedeutung hatte die Kolonialisierung auf die Entwicklung der einzelnen Staaten und ihrer Bürger? So seien willkürliche Grenzen gezogen und Traditionen zerstört worden, deren Fehlen heute zu sozialen Spannungen führten. Während des Ost-West-Konfliktes seien zahlreiche Staaten von den Großmächten und ihren Verbündeten aufgrund ihrer geostrategischen Bedeutung unterstützt oder sanktioniert worden, man habe mit Waffengewalt in Konflikte eingegriffen, ohne Pläne und Mittel für den Wiederaufbau der Länder bereitzustellen. Bürgerkriege und chaotische Zustände in Staaten wie Irak, Syrien, Afghanistan und Libyen seien nun die Folge. So zitiert Dr. Finkernagel Sarah Wagenknecht mit den Worten: "Der Westen, vor allem die USA, haben dieses Monster ( den IS) mit ihren Kriegen groß gemacht. Ohne den Irak-Krieg gäbe es den IS nicht. Ohne die Bombardierung Libyens und die Destabilisierung Syriens wäre er längst nicht so stark."

Dr. Finkernagel verweist darauf, dass es sich bei der Zerstörung der Staaten vor allem um sozialistische Strukturen gehandelt habe, ohne die Menschenrechtssituation dort schönreden zu wollen. So z. B. Libyen zu Zeiten Gaddafis:

  • Keine Zinsen auf staatliche Kredite
  • Strombezug war kostenlos
  • Bildung war kostenlos
  • Medizinische Behandlung war kostenlos
  • Alle frisch Vermählten erhielten vom Staat 45 Tsd. € vom Staat als Existenzgründungshilfe.
  • Ein Teil der Einnahmen aus Ölgeschäft ging auf Konten der Bürger Ein Jahrhundert-Wasserprojekt sollte die Landwirtschaft in der Wüste ermögliche.

Und heute – ein Staat im Chaos, rechtlos, vom IS und anderen Terrorgruppen beherrscht.

Dr. Fingernagel appellierte an seine Zuhörerschaft, keine Angst vor der Herausforderung zu haben, die Flüchtlinge hier zu integrieren, schließlich lebten wir in einer alternden Gesellschaft und langfristig würden die vielen jungen Menschen unserem Arbeitsmarkt und der Sozialversicherung gut tun. Man müsse aber auch bedenken, dass 60 % der Flüchtlinge nach Kriegsende in ihre Heimat zurückkehren wollten, man solle ihnen hier die Bildung und die Fähigkeiten vermitteln, ihre zerstörten Länder wieder aufzubauen. Natürlich müssten auch die Flüchtlingslager im Nahen Osten besser unterstützt und alles getan werden, um die Kriege zu beenden und die Situation vor Ort zu verbessern.

Dr. Finkernagel warnte vor einer Spaltung der Gesellschaft und davor, dass die Flüchtlinge zu Sündenböcken werden und sich die Wut Menschen, die mit wenig Einkommen zurecht kommen müssen, gegen sie und nicht gegen diejenigen richtet, die für eine verfehlte Arbeits- und Sozialpolitik verantwortlich sind und diejenigen, deren riesige Vermögen sich trotz Wirtschaftskrise in den letzten Jahren nochmals stark vermehrt hätten. Und der zitierte den Psychotherpeuten Wolfgang Schmidtbauer mit den Worten: „Der Kapitalismus zerstört die Fähigkeit zur Empathie, also die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzudenken und einzufühlen."

Wichtig sei, dass man die deutschen Mitbürger, die in Armut lebten, nicht vergessen dürfe. Sie bräuchten mehr Unterstützung für eine Integration in den Arbeitsmarkt, bessere Löhne, bezahlbare Wohnungen und existenzsichernde Renten. Hier müssten die Millionäre und die großen Konzerne in unserem Land einen weit größeren Beitrag leisten.

In der nachfolgenden Diskussionsrunde waren die Ereignisse von Köln ein wichtiges Thema. Einige Zuhörer empörten sich über gestiegene Kriminalitätszahlen. Martin Gräbener von der Siegener Linken verwies hier auf aktuelle Berichte der Siegener Polizei, nach denen keine gestiegene Kriminalität zu verzeichnen sei. Sicherheitsgefühl und Sicherheitslage klafften weit auseinander. Auch Dr. Finkernagel mahnte zur Vorsicht bei Gerüchten über Flüchtlinge vor allem in den sozialen Netzwerken, häufig sei absolut nichts dran an solchen Geschichten. Man solle mit den Flüchtlingen sprechen anstatt über sie zu reden, meist verlören sich die Ängste dann von selbst.