Digitale Antragsstellung beim Jobcenter im Kreis

Die Linke. Kreistagsfraktion Siegen-Wittgenstein

Sachstand:

„Schriftliche Antragsstellungen zum Bürgergeld und das Einreichen von fehlenden Unterlagen sollen bei Jobcentern im Kreis Siegen-Wittgenstein nur noch digital und online erfolgen.“

Mit großer Verwunderung mussten wir in Gesprächen mit Antragsstellenden von Bürgergeldleistungen vieler Jobcenter im Kreis Siegen-Wittgenstein und deren Integrationshelfer*innen feststellen, dass dort anscheinend nur die Möglichkeit einer digitalen Antragsstellung aufgezeigt wird, ohne auf die Alternative in Papierform hinzuweisen. In einem uns bekannten Fall wurde wohl sogar darauf bestanden, einen Jobcenter.digital-Account anzulegen und darauf hingewiesen, dass z. B. eine Hilfe von ehrenamtlich Tätigen nicht erwünscht sei.

Da nicht davon auszugehen ist, dass jede*r Antragssteller*in über einen Internetanschluss, ein internetfähiges Endgerät oder ausreichende EDV-Kenntnisse verfügt und eine entsprechende Ausrüstung auch nicht hinreichend in der Leistung für eine digitale Teilhabe berücksichtigt wird, wäre also im o.g. Fall ein Verstoß gegen das SGB I anzunehmen.  

Im §17 SGB I heißt es nämlich, dass „jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält“, ferner, dass „(…) der Zugang zu den Sozialleistungen möglichst einfachgestaltet wird, insbesondere durch Verwendung allgemein verständlicher Antragsvordrucke (…)“. Darüber hinaus steht im Absatz 3: „In der Zusammenarbeit mit gemeinnützigen und freien Einrichtungen und Organisationen wirken die Leistungsträger darauf hin, dass sich ihre Tätigkeit und die der genannten Einrichtungen und zum Wohl der Leistungsempfänger wirksam ergänzen.“

Möglichst einfach, also den Möglichkeiten des Antragsstellenden entsprechend, hieße also, dass eine Antragsstellung sowohl in Papierform als auch digital erfolgen kann und bei Bedarf mit der Hilfe einer gemeinnützigen Organisation. Müsste aber für eine Antragsstellung erst einmal ein internetfähiges Gerät angeschafft, ein Internetanschluss eingerichtet oder ausreichende EDV-Kenntnisse erworben werden, wird der Zugang zu den Sozialleistungen unnötig verzögert, behindert oder schlimmstenfalls sogar verhindert.

Sebastian Bähr vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (kurz: IAB) schreibt hierzu: „So müssen digitale Dienstleistungen, die sich an diese Zielgruppe richten, so ausgestaltet sein, dass sie auch auf Smartphones (…) funktionieren. Zugleich werden Offlineangebote zumindest in näherer Zukunft (…) unverzichtbar bleiben“.

Vielleicht besitzt ein großer Bevölkerungsteil digitale Endgeräte und einen Internetanschluss, oft aber eben nicht in einem ausreichenden Maße für eine digitale Teilhabe. Der Paritätische Wohlfahrtsverband spricht hier von einer wachsenden „digitalen Kluft“. Um welche Bevölkerungsgruppen handelt es sich dabei genau? Im Klartext: um Ältere, gering gebildete und migrantische Leistungsbezieher*innen. Auch die Kommunikation zwischen Jobcenter und anderen sozialen Hilfestellen mit Betroffenen und ehrenamtlichen Helfern kann in der Praxis eben nicht als selbstverständlich digital von Seiten der Behörden verstanden und vorausgesetzt werden. Vor allem im Bereich von größtenteils überlebenssichernden Sozialleistungen darf eine solche Benachteiligung nicht vorkommen. Betroffene im Kreisgebiet berichten sogar, dass sich nicht zuletzt auch durch die digitale Antragsstellung das Beratungsangebot signifikant verschlechtert hat.

Bei allen Vorteilen einer digitalen Antragsstellung ist es aus unserer Sicht dennoch unerlässlich, dass weiterhin die Möglichkeit der Papierform (auch ungefragt) angeboten werden muss, damit alle Betroffenen in gleicher Weise Zugang zu den ihnen zustehenden Hilfen bekommen. Durch eine rein digitale Antragsstellung wird der Prozess der Antragsstellung unnötig „verkompliziert“, so dass zustehende Leistungen von Betroffenen oft nicht in Anspruch genommen werden/genommen werden können. Des Weiteren sehen wir darin auch die Gefahr der Intransparenz von Antragsstellungen für Leistungsbezieher*innen.

Abschließend möchten wir auch darauf hinweisen, dass derzeit ein Gesetzentwurf zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes (OZGÄndG) im Gesetzgebungsverfahren ist, da die Frist des ursprünglichen OZG nicht eingehalten wurde und in diesem Rahmen ein Recht auf analogen Zugang zu Verwaltungsleistungen in der rechtswissenschaftlichen Literatur noch stark diskutiert wird. Hierzu gibt es unter dem Aktenzeichen WD 3 - 3000 - 060/24 eine Dokumentation des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages. So besteht derzeit eine Verpflichtung der Bürger*innen zur ausschließlichen digitalen Nutzung von Ämterdienstleistungen rechtlich nicht.

Aus dem oben dargestellten Sachverhalt ergeben sich für unsere Fraktion folgende Fragen:

  1. Wie viele Antragsstellungen auf Bürgergeld wurden im letzten Jahr bei den Jobcentern im Kreis Siegen-Wittgenstein a) in Papierform und b) digital gestellt?
  2. In wie vielen Jobcentern des Kreises ist bereits heute nur noch eine digitale Antragsstellung zum Bürgergeld möglich?
  3. Welche IT-Anbieter sind Supervisor für die Arbeitsämter und Jobcenter im Kreisgebiet?
  4. Erhält der Kreis Siegen-Wittgenstein Fördermittel vom Bund und/oder Land NRW für die flächendeckende Digitalisierung in Verwaltungen, speziell in Jobcentern?
  5. Wie geht das Jobcenter mit personenbezogenen und sensiblen Daten um?
  6. Werden regelmäßig stattfindende Schulungsangebote für den Umgang mit der Jobcenter-App für Antragsstellende angeboten? Wenn ja, wie war die Inanspruchnahme von „Kund*innen“ des Jobcenters Siegen-Wittgenstein 2024?

Wir wünschen eine zeitnahe Beantwortung unserer Anfrage im Vorfeld der nächsten Ausschusssitzung und bedanken uns im Voraus.