Anfrage: „Gebäudepass“ / Rohstoffzirkulation fördern

DIE LINKE. Kreistagsfraktion Siegen-Wittgenstein

Sehr geehrter Herr Landrat Müller,

die Fraktion DIE LINKE im Kreistag Siegen-Wittgenstein bittet um Beantwortung der nachstehenden Fragen zur oben stehenden Anfrage „Gebäudepass“ / Rohstoffzirkulation fördern.

Sachdarstellung:

Der Bausektor gehört zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftssektoren und sollte optimalerweise Rohstoffe so lange wie möglich zirkulieren lassen, um möglichst keine Abfallprodukte zu produzieren, den CO2-Ausstoß so minimal wie möglich zu halten und maximal schadstoffarm zu wirtschaften.

„Gleichwohl lassen sich BIM (= Building Information Modeling-Anwendungen) - basierte vernetzte Planung und Dokumentation im Hochbau dafür nutzen, materielle Gebäudepässe im Sinne eines „Rohstofflagers der Zukunft“ und als Teil einer digitalen Bauakte anzufertigen. Ein solcher materieller Gebäudepass gibt Aufschluss über materielle Zusammensetzung hinsichtlich Art, Herkunft, Masse, Einbausituation, Lebensdauer, Recyclinganteile der verwendeten Baustoffe. Diese Informationen bestimmen die Kreislauffähigkeit eines Bauproduktes oder Bauteils. Somit kann ein materieller Geb.udepass die Grundlage für die Phase Umnutzung, Modernisierung oder Rückbau bilden, um möglichst ressourcenschonend den Bestand im Baugewerbe weiterzuentwickeln bzw. rohstoffgewinnend neu zu bauen. Zudem lässt sich mittels eines Ressourcenausweises der Ressourcenaufwand  sicht- und messbar machen." (Messari-Becker 2020)1

Wie die sehr renommierte Universitätsprofessorin Prof. Dr. Ing. Messari-Becker, auch Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen, in diesem Text aufzeigt, ist es unabdingbar, ressourcenschonend zu bauen und zu recyceln. „Dabei steht Bauen für etwa 40 Prozent des CO2-Aussto.es, die Hälfte des Ressourcenverbrauchs und Abfallaufkommens und 70 Prozent des Flächenverbrauchs“, erklärt die Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen. Weiterhin wird in diesem Bereich ein Viertel der CO2-Emissionen ausgestoßen.2

Bei der Recherche zu diesem Problem wurde stets als Teil der Lösung das sogenannte „Rohstoffkataster“ angeführt, welches sich u. a. in Form eines sog. „Gebäudepasses“ - analog zum verpflichtenden Energieausweis - darstellt. Dabei wird die materielle Zusammensetzung der Gebäude dokumentiert und katalogisiert sowie eine Zirkulation und bessere Nachverfolgung und Verwertung von Rohstoffen ermöglicht. Hierbei sind optimalerweise nicht nur die Neubauten zu erfassen, sondern auch die Bestandsgebäude. Will man z. B. in Seattle (USA) eine Abbruchgenehmigung bekommen, muss man nachweisen, dass mindestens 20 % des Materials wiederverwendet und 100 % des Betons und des Mauerwerks recycelt werden. In unserem Nachbarland, den Niederlanden, wird das Ziel verfolgt, bis 2050 eine zirkuläre Ökonomie zu entwickeln. Bis dahin werden nur Primärrohstoffe verwendet, die schadstofffrei abgebaut werden können.3

Anhand der zunehmenden Umweltkatastrophen und den unbestreitbaren Zusammenhang mit dem CO2-Aussto. erscheint diese Idee wichtiger und innovativer denn je und sollte auch bei Bauvorhaben in unserem Kreisgebiet eingeführt werden.

Vor diesem Hintergrund bitten wir deshalb die Kreisverwaltung um Beantwortung der unten stehenden Fragen:

1. Gibt es bereits eine Form von Rohstoffkataster im Kreis Siegen-Wittgenstein? Wenn ja, welche Gebäude werden hierbei dokumentiert / katalogisiert?

2. Gibt es eine systematische Erfassung von Rohstoffen, die in Neubauten verwendet werden?

3. Ist es der Verwaltung personell und technisch m.glich, zukünftig einen sog. „Gebäudepass““ für alle Neubauten des Kreises fachlich angemessen zu erstellen und zu dokumentieren?

4. Wie positioniert sich die Kreisverwaltung zu einem solchen „Gebäudepass“? Sieht sie darin vielleicht sogar einen Gewinn, umweltschonender und CO2-Ausstoßärmer zu bauen?

5. Welches Konzept verfolgt der Kreis aktuell bei der Verwertung, Wiederverwertung und Aufbereitung von Baustoffen?

 


1 Deutscher Städtetag - Nachhaltiges und suffizientes Bauen in den Städten, Juli 2021

2 Vgl. Becqu. et al 2016, S. 19

3 Erfassung und Steuerung von Stoffströmen im urbanen Wohnungsbau, Dissertation von M. A. Heinrich, Hochschule München, 2019, S. 210