Rede: DIE LINKE zur Optionskommune

Margit Schulte, Kreistag

Sehr geehrter Herr Landrat,
sehr geehrte Damen und Herren,

wie Sie wissen, lehnt die Partei „Die Linke“, unser Kreisverband und auch die Fraktion der Linken im Kreistag die in der Öffentlichkeit unter dem Namen Hartz bekannten Gesetze, grundsätzlich ab. Dies betrifft vor allem das SGB II, das in unseren Augen dazu geführt hat, dass viele Menschen in diesem Land und auch in unserem Kreis an - oder auch vielfach unterhalb - der Armutsgrenze leben müssen.

Neben der unzureichenden finanziellen Versorgung der von Hartz IV betroffenen Menschen und auch der Kinder in Bedarfsgemeinschaften, lehnen wir vor allem den Zwangscharakter dieses Systems und die damit verbundenen Sanktionen rundweg ab. Dies entspricht aus unserer Sicht nicht dem Recht eines jeden Menschen auf ein menschenwürdiges Dasein und die freie Entfaltung der Persönlichkeit in unserer Gesellschaft, auch hier in unserem Kreis.
 

  • In unserem Kreis reden wir derzeit von fast 18.000 Menschen, die in Bedarfsgemeinschaften unter den Bedingungen von Hartz IV leben müssen, dies entspricht in etwa der Größe der Stadt Freudenberg, darunter mehr als 4.000 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren, die unmittelbar von Armut und Ausgrenzung betroffen sind

  • Mehr als ein Viertel der sogenannten erwerbsfähigen Hilfebedürftigen im Kreis Siegen-Wittgenstein gehen dabei einer Beschäftigung nach, nur reicht das Erwerbseinkommen nicht aus, den oder auch die Einzelne und auch deren Familienangehörige über die Runden zu bringen.

  • Wir sprechen auch von mehr als 1.800 alleinerziehenden Müttern und Vätern und vor allem von ihren Kindern, denen die Chance auf eine Teilhabe am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in unserer Region vorenthalten wird.

  • Mehr als 2.500 Ausländerinnen und Ausländer in unserem Verantwortungsbereich warten auf eine faire Chance, sich im Rahmen der Erwerbsarbeit an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unserer Region beteiligen zu können, sie bleiben aber außen vor.

  • Mehr als 6.000 der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen hoffen seit mehr als zwei Jahren auf eine Vermittlung in Arbeit, darunter immer mehr Personen, die älter als 50 Jahre alt sind. Sie hoffen bisher vergeblich.


Wie Sie sich denken können, war daher der vorgelegte Antrag zu der Frage, ob der Kreis zugelassener Träger für die Durchführung des SGB II werden soll, innerhalb unserer Fraktion durchaus umstritten.

Ist der Kreis tatsächlich dazu in der Lage, die von Hartz IV betroffenen Menschen besser zu betreuen, als dies die Arbeitsgemeinschaft bisher getan hat?

Wir sind uns da nicht sicher, Sie erinnern sich bestimmt genauso gut wie wir an die Schwierigkeiten, die wir im vergangenen Jahr mit unserem Jugendamt hatten.

Trotz all dieser Bedenken stimmen wir diesem Antrag zu: Es sind weniger die einzelnen Punkte des Antrags, auf einige werde ich im weiteren Verlauf meiner Rede noch eingehen, es ist vielmehr der Wunsch des Kreises und auch der im Kreistag vertretenen Fraktionen, die Initiative für die Integration von überwiegend langzeitarbeitslosen Menschen zu übernehmen und sich um sie zu kümmern.

Dies bedeutet aber auch, dass der Kreis die Verantwortung für diese Menschen tatsächlich übernimmt, alles Menschen, die in unserer Region leben und von denen viele weiterhin hier leben wollen. Und dann ist auch künftig nicht mehr eine mehr oder weniger anonyme ARGE für die Arbeitsmarktzahlen verantwortlich, sondern wir im Kreistag und den zuständigen Gremien und vor allem Sie Herr Landrat, denn Sie müssen den Nachweis führen, dass der Kreis es besser kann…

Wir sind gerne dazu bereit, unseren Teil der Verantwortung zu übernehmen, allerdings werden wir Sie daran messen, inwieweit sich die Lebensverhältnisse der Menschen, die von Arbeitslosengeld II oder auch von Sozialgeld leben müssen, tatsächlich verbessern, ob die Integration in Arbeit gelingt und ob sich auch für die oben benannten Zielgruppen etwas ändert. Dabei sind wir uns bewusst, dass aufgrund der Mittelverteilung seitens des Bundes, Sie nicht für alles zuständig sind. Seien Sie sicher, wir sind nicht unfair, aber wir werden auch fordern und vor allem auch kontrollieren.
 

Zum Antrag,


Wir unterstützen uneingeschränkt die Forderung, die Anzahl von Arbeitsgelegenheiten – sprich 1€-Jobs – maßgeblich zu senken, sie sind das nachgewiesenermaßen unwirksamste Mittel, um eine Integration in Arbeit zu erreichen, darüber hinaus führen sie zum Wegfall von Arbeitsplätzen und tragen zur Etablierung eines Niedriglohnsektors -auch im öffentlichen Bereich- bei. Zudem ist die vielfach praktizierte Zwangszuweisung solcher Jobs als menschenunwürdig abzulehnen.

Dieses Ziel ist für uns ein zentrales Argument, dem Antrag zuzustimmen, wir werden aber den Kreis daran messen, inwieweit dieses Ziel tatsächlich erreicht wird. Und unter einer maßgeblichen Senkung verstehen wir bereits im ersten Jahr der Option, eine Reduzierung um mindestens 30 % .

Eine enge Verzahnung von Jugendhilfe, Wirtschaftsförderung und die soziale Stabilisierung von Personen und Familien, die dabei Unterstützung benötigen, begrüßen wir nachdrücklich. Sie ist überfällig. Wir warnen aber gleichzeitig davor, Mittel der Jugendhilfe einzusparen, um sie über Eingliederungsleistungen zu kompensieren. Denn junge Menschen, die über ihre Biografien benachteiligt worden sind, brauchen mehr als eine Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit (wenn diese überhaupt funktionieren sollte), sie benötigen die Stärkung ihrer Persönlichkeit, die Vermittlung lebenspraktischer und emotionaler Fertigkeiten, ein Verständnis für ihre besondere Situation, und vor allem die Unterstützung bei der Entwicklung einer Lebensperspektive, die auch im Falle von unerwarteten Ereignissen wie Arbeitslosigkeit, Krankheit und Verlust tragfähig ist. Denn nur darüber kann eine gelungene Integration in unsere Gesellschaft erreicht werde. Dies ist und bleibt Aufgabe der Jugendhilfe, und kann nicht über die Arbeitsförderung ausgeglichen werden. Dies gilt insbesondere auch im Bereich der Hilfen für junge Volljährige.

Die Gründung einer Beschäftigungsgesellschaft unter kommunaler Trägerschaft kann ein geeignetes Instrument zur Arbeitsmarktintegration sein. Sie darf aber nicht zu einem Wegfall von Stellen im kommunalen Bereich führen, vielmehr sollen Aufgaben übernommen werden, die von den Bürgerinnen und Bürgern gewünscht werden, bislang aber nicht erfüllt werden konnten, also Tätigkeiten, die nicht zu den Pflichtaufgaben der Kommune gehören. Selbstverständlich sind bei dieser Gesellschaft die Tarife des öffentlichen Dienstes einzuhalten.

Zudem darf die Beschäftigungsgesellschaft nicht zu wirtschaftlichen Nachteilen für Handwerksbetriebe und mittelständische Unternehmen in unserer Region führen.

Innovative Leitprojekte für benachteiligte junge Menschen, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit Migrationshintergrund unterstützen wir in jeder Beziehung, solange sie geeignet sind, eine Integration in den Arbeitsmarkt oder auch eine soziale Integration zu unterstützen.

Gleiches gilt beim Erhalt der bestehenden Standorte. Die Personen, die Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld beziehen, müssen nach wie vor eine wohnortnahe Anlaufstelle haben, um ihre Anliegen vorzutragen und ihre Leistungen zu erhalten.

Ebenfalls wichtig ist uns, der Umgang mit den bisherigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der ARGE. Sie sollen, wo dies möglich ist, unbefristete Beschäftigungsverhältnisse erhalten, nicht nur im Sinne der betroffenen Kolleginnen und Kollegen, sondern auch im Sinne der von Hartz IV-Betroffenen, die ebenfalls an einer personellen Kontinuität interessiert sind.

Schwere Bedenken erheben wir allerdings bei der Vorstellung, die Aufgabenerledigung der kommunalen Umsetzung des SGB II einer GmbH oder einer gGmbH zu übertragen. Grundsätzlich lehnen wir jede Übertragung öffentlicher Rechtsgüter an privatwirtschaftliche Einzelpersonen und Gesellschaften ab. Diese können nie öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnehmen und die Garantenpflicht einer öffentlichen Körperschaft übernehmen. Was denken Sie, was die Bürger der Stadt Freudenberg, die sich auch um etwa 17.000 Menschen kümmert dazu sagen, dass an Stelle der gewählten Stadtverwaltung die Freudenberg GmbH träte, die über Bauanträge und die dazugehörigen Widersprüche und Eingaben entscheiden würde. Verantwortung übernehmen heißt nicht, die Aufgaben an einen privatrechtlichen Dritten abzugeben, sondern vielmehr sie als öffentliche Aufgabe wahrzunehmen. Allerdings gehen wir davon aus, dass die Übertragung der Aufgaben an eine privatwirtschaftliche Organisation derzeit rechtlich nicht möglich ist, und auch politisch nicht geplant ist. Da warten wir auf das angekündigte Gesetz der Landesregierung.

Herr Landrat,
sehr geehrte Damen und Herren,

DIE LINKE stimmt dem vorgelegten Antrag zu und erklärt sich ausdrücklich dazu bereit, innerhalb der geplanten und bestehenden Gremien an der Realisierung des Antrags und der Umsetzung mitzuarbeiten.

Sie wird aber auch den Landrat in die Verantwortung nehmen, inwieweit sich die Lebenssituation der Menschen, die von Hartz IV betroffen sind, tatsächlich verbessert. Dies betrifft sowohl die berufliche als auch die soziale Integration. Wir werden Sie daran messen, mit welcher Richtung Sie sozialpolitisches Engagement entwickeln, um die Menschen weiterzubringen und ihnen ein menschenwürdiges Leben in unserem Kreis zu ermöglichen.


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.