Haushaltsrede zum Haushalt 2013 der Stadt Netphen

Rat Netphen, Ekkard Büdenbender

Haushaltsrede 2013

Der Haushaltsentwurf, über den wir hier heute reden dürfen, um den Anschein von funktionierender Kommunalpolitik zu wahren, trägt fälschlicherweise nicht den Titel „Nothaushalt“. Aber wie sonst soll man einen Entwurf nennen, der bereits die notwendigsten Spielräume nur noch auf Pump ermöglicht. Wir können natürlich über zeitliche Verschiebungen, über zusätzliche Streichungen oder über die ein oder andere Augenwischereien reden, um das Gefühl zu bekommen, wir würden aktive Zukunftsgestaltung betreiben.

Aber selbst in Jahren des „Aufschwungs“, des hochgelobten Wachstums hat die gestalterische Bedeutung der kommunalen Selbstbestimmung einen Stellenwert erreicht, an dem der Bürgermeister über den Haushalt unter Punkt 12 diskutieren und abstimmen lässt, nächstes Jahr erledigen wir dies dann wohl unter dem Punkt Verschiedenes.

Ich habe in den letzten Wochen die Haushaltsreden des Bürgermeisters und der Fraktionsvorsitzenden der vergangenen Jahre noch einmal gelesen. Aus allen sprach die Erkenntnis, dass es so nicht weiter gehen darf, aber nahezu alle kamen leider zu dem Schluss, dass man den Kopf nur tief genug in den Sand stecken muss, damit unsere Probleme von allein verschwinden.

Die Rednerinnen und Redner ließen erkennen, dass es wenig Freude bereitet, Verantwortung für unsere Stadt zu übernehmen, wenn man nicht nur am kürzeren Hebel sitzt, sondern allmählich begreift, dass uns der Hebel längst aus der Hand genommen wurde..

Einen wachsender Teil unserer Bevölkerung kennt diesen Zustand aus dem Privaten. Selbst der geschönte Armutsbericht kann nicht mehr vertuschen, dass mittlerweile die Hälfte der bundesdeutschen Bevölkerung zur besitzstandslosen Klasse gehört. Doch leider sitzt dieser Teil der Bevölkerung nicht in den Parlamenten. Und so haben außer mir nur die UWG und die SPD zumindest einmal die Möglichkeit erwähnt, dass es Zeit für Reaktionen sei.

Die UWG spielte mit dem Gedanken, entgegen der Verfassung, die Stadträte konsequenterweise aufzulösen. Die SPD erkannte, dass wir uns der Entwicklung tatsächlich einmal geschlossen entgegenstellen und unsere Zustimmung zu diesem Wahnsinn verweigern sollten. Leider machte sie der Einschätzung von Dieter Hildebrandt über die SPD alle Ehre und schreckte sofort über die eigene Courage zurück.

Und so stehen wir auch dieses Jahr vor leeren Kassen und wachsenden Problemen. Erst letzte Woche wurden wir darauf hingewiesen, welche Probleme das Altern der Gesellschaft auch in Netphen mit sich bringen wird. Doch wir werden auch hier nur noch tatenlos zusehen können, statt aktiv zu planen.

Wir haben in den letzten Monaten intensive Gespräche über die Umsetzung von U-3 geführt, weil kaum einer von uns daran glaubte, dass sich die Zielvorgaben umsetzen lassen, weil zwar die Ziele ehrgeizig, aber die zur Verfügung stehenden Mittel ehrlos sind. Der Stellenwert, den die Förderung unserer Kinder in den Finanzplanungen des Bundes einnimmt, sorgte dafür, dass wir nicht ein einziges Mal wurde dabei über Förderung, Pädagogik oder gar über Kinder gesprochen haben. Es ging immer nur noch um Gebäude, um nackte Zahlen, es ging nur noch ums Geld.

Wir reden nicht mehr über Heimat, wir reden nur noch über Standorte. Entscheidend ist die Anbindung der Industrie an ein verfehltes Verkehrskonzept, damit Produkte kostengünstig bewegt werden können. Wie lange und kostenintensiv die Arbeitswege der Beschäftigten sind, wie viel Lebenszeit wir sinnlos vor und nach der Arbeit verschwenden, ist nicht systemrelevant. Längst hat sich unsere Gesellschaft an ein Wertesystem gewöhnt, in dem die Produktion eines neuen Autos höher angesehen wird, als die Pflege eines alten Menschen.

Im November stand die Kinderklinik in Siegen kurz vor der Schließung, weil sich mit der Rettung von Neugeborenen nicht mehr genug Profit erzielen lässt. Jetzt dürfen unter anderem die Angestellten mit einem Teil ihres Weihnachtsgeldes die Rendite der Klinik wieder erhöhen. Wir retten das Leben von Kleinkindern nur noch, wenn es sich finanziell lohnt? Wie tief müssen wir denn noch sinken, bis wir endlich anhören, uns gegeneinander ausspielen zu lassen und endlich anfangen, gemeinsam für unsere Gesellschaft, für unsere Werte zu kämpfen?


Wollen wir allen Ernstes darauf verzichten, Netphen fit für die Zukunft zu machen, weil uns der Kämmerer Zahlen vorlegt, die mit einem Minus versehen sind? Haben wir wirklich aufgehört, an andere Werte zu glauben, als an Geldwerte? Sehen wir das Potential dieser Stadt und ihrer Menschen nicht? Können wir denn wirklich nur noch durch Zahlen steuern?

Ich könnte jetzt auch andere Zahlen dazu beisteuern. Das Nordrhein-westfälische Ministerium für Inneres und Kommunales hat beispielsweise ausgerechnet, dass die Millionärssteuer. welche die Linke fordert, allein für Netphen 2012 rund 2 Millionen Euro zusätzliches Geld bedeutet hätte. Doch es ist vergebens, darauf zu hoffen. Selbst wenn diese Forderung umgesetzt worden wäre, man hätte den Kommunen, ähnlich wie es bei den Hartz IV Beziehern regelmäßig geschieht, jeden zusätzlichen Euro an anderer Stelle wieder abgezogen.


Doch noch existieren die Räte in den Kommunen, noch lässt man uns den hoffenden Abnicker spielen, denn wir sind billig und unmächtig genug. Noch haben wir leistungsfähige Verwaltungen, mit denen eine Stadt aufrechterhalten wird. Doch Instrumente wie Schuldenbremse und elektronische Verwaltung werden dies schneller ändern, als sich dies jetzt vorstellen lässt. Die Pläne für neue Verwaltungssysteme liegen längst bei IBM in der Schublade. Mit Smarter Cities wurden Möglichkeiten entwickelt, um bürgernahe und menschenfreundliche Behörden durch computer - und callcentergesteuerte Apparate zu ersetzen. Wie wirkungslos Proteste gegen solche „Reformen“ sind, hat unser notärztliches System bewiesen.

Wir sollten also gar keine Zeit mehr darauf verwenden, uns zu beschweren, die Zeit, in der dies Sinn gemacht hätte, ist längst vorbei. Doch damals haben leider alle weggesehen, haben geglaubt, dass es sie und ihr Klientel nicht betrifft. Seit über 20 Jahren warnen beispielsweise alle vor dem Zusammenbruch des Pflege. Jetzt wissen wir, dass sich in Netphen innerhalb von zwanzig Jahren die Anzahl der zu Pflegenden pro Beitragszahler verdoppeln wird. Das Pflegesystem zwingt aber jetzt schon die Pflegekräfte bei teils unwürdiger Entlohnung an die Grenze des Machbaren. Die Probleme, die für die Gesellschaft hier entstehen, fallen nicht den Politikern in Berlin vor die Füße, sondern uns, hier vor Ort.

Seit dem ich hier im Rat sitze, wächst der Unmut aller Ratsmitglieder gegen die fortschreitende Unterfinanzierung der Kommunen. Wir sind uns möglicherweise nicht unbedingt einig, wie wir dieser Entwicklung entgegentreten können, falls wir überhaupt Ideen diesbezüglich haben. Aber dass wir dieser Entwicklung gegensteuern müssen, darüber scheint Einigkeit zu herrschen. Wir sollten also die Zeit nutzen, die man uns noch lässt, um über Alternativen zu reden. Wobei ich Diskussionen in einem Rahmen, wie dem heutigen, in dem wir unter Punkt 12, nach einem Arbeitstag, mit müdem Blick auf die Uhr, wohl kaum noch in der Lage sein werden, Auswege aus unserer Krise zu finden, die auch noch alle Seiten zufrieden stellen. Ich stelle daher den Antrag (d.h., ein Antrag wird erst dann daraus, wenn 20% der Anwesenden Ratsmitglieder, oder eine Fraktion diesen unterstützen), dass wir uns schnellstmöglich, gemeinsam für ein Wochenende in Klausur begeben, um in Ruhe ohne Zeitdruck darüber beraten, wie wir unsere Stadt durch die Krisen der Zukunft steuern. Denn auf Hilfe von oben zu hoffen, wäre fatal. Denn anstatt die Probleme im eigenen Land anzugehen, ist man in Berlin zu sehr damit beschäftigt, fiktive Probleme in Ländern wie Mali heraufzubeschwören. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, wir müssen endlich vor Ort Konzepte entwickeln.

Kommunalpolitik in Zeiten voller Kassen macht Spaß, Kommunalpolitik in Zeiten leerer Kassen macht Arbeit. Lasst uns mit der Arbeit beginnen.