Leserbrief: WKW-Banfe stirbt – warum?

Thorsten Fischer, OV Wittgenstein

220 lohnabhängige Menschen in Wittgenstein, v.a. in Banfe, verlieren zum 31.03.2021 ihren Arbeitsplatz. Menschen die ihre Arbeit verlieren, verlieren jedoch mehr als nur ihre Arbeit. Sie verlieren auch mehr als ihr Einkommen. Weil alles ans Geld gebunden ist, verlieren sie darüber hinaus ihre soziale Teilhabe, sodann ihre soziale Identität und wenn es weiter schlecht läuft durch das Abrutschen ins herrschende Hartz-IV- System ihre menschliche Würde. Wenn der Wert eines Menschen sich allein nach dem Wert seiner Arbeitskraft bemisst, dann verliert dieser Mensch seinen Wert mit der Ent-Wertung seiner Arbeitskraft. Das Kapital spricht dann von „Freisetzung“ und meint damit, dass diese Menschen nun ihre Ware „Arbeitskraft“ auf dem „Arbeitsmarkt“ in freier Konkurrenz gegen andere Anbieter/innen von Arbeit dem nächsten Käufer von Arbeit verkaufen können. Für mehr oder für weniger Geld. Oder gar nicht. So einfach ist das im Kapitalismus. Und so zynisch. Und dann heißt es in der Zeitung: „Mitarbeiter auf der Suche nach neuen Arbeitsplätzen“. Darüber die dicke Überschrift „Umbruch in der Autoindustrie fordert erste Opfer“ (SZ 28.01.20). Wer sind die Täter/innen?

In seinem Roman „Früchte des Zorns“ schildert John Steinbeck (1939) den verzweifelten Zorn eines Landpächters, dessen Land an einen neuen Besitzer verkauft wurde. Ein Erfüllungsgehilfe des neuen Eigentümers naht mit einer Planierraupe, um sein Haus abzureißen. Der Pächter droht ihn zu erschießen, wenn er sein Vorhaben wahr macht. Der Erfüllungsgehilfe sagt: “Ich kann nichts dafür. Ich verliere meine Arbeit, wenn ich‘s nicht mache…Du bringst nicht den Richtigen um!“. „Ja,ja“, sagt der Pächter, „wer hat Dir den Befehl gegeben? Dann werde ich mich an den halten. Er ist der, wo umgebracht werden muss.“ - „Du hast Unrecht. Er hat auch nur seinen Befehl von der Bank. Die Bank hat ihm gesagt: > Schmeiß‘ die Leute raus, oder Du fliegst<. “ - „Ja, aber es gibt doch einen Präsidenten von der Bank. Es gibt doch Direktoren. Da fülle ich eben mein Gewehrmagazin und gehe in die Bank.“ Darauf sagt der Erfüllungsgehilfe: „Jemand hat mir erzählt, die Bank hat Befehl aus dem Osten gekriegt. Und der Befehl war: >Sorgt dafür, dass das Land was abwirft, sonst machen wir euch die Bude zu.<“ - „Aber, wo hört das denn auf?“, fragte der Pächter,“ich habe keine Lust zu verhungern, eh ich den Mann umgebracht habe, der wo mich aushungert.“ - „Ich weiß es nicht. Vielleicht ist da überhaupt niemand zu erschießen. Vielleicht ist das Ganze überhaupt nicht von Menschen gemacht“, sagte der Erfüllungsgehilfe.

Die Mächtigen wissen, dass die vollkommen abstrakten Entscheidungsprozesse kapitalistischer Logik letztlich von niemandem nachvollziehbar und persönlich zu verantworten sind. Gleichwohl schlagen sie mit anonymer Gewalt wie der Blitz eines Gewitters in die Menschen und ihre sozialen Beziehungen ein, wo sie Angst und Zorn erzeugen. Und damit sich weder deren Angst noch ihr Zorn nach außen wenden und Früchte in Form konkreter Handlungen tragen, die für die Mächtigen gefährlich sein könnten, müssen sie unter Kontrolle gebracht werden. Deshalb gibt man ihnen eine Richtung, die die Mächtigen nicht bedroht.

Und so sagen die Erfüllungsgehilfen/innen heute: „Das ist eine ganz schwierige Entscheidung gewesen, die die Geschäftsführung zu überbringen hatte. Aber sie war leider alternativlos. Wir haben keine andere Chance, als unser Unternehmen gesund zu schrumpfen.“ (SZ 25.01.20). Und sie fahren nicht selber die Planierraupe, sondern sind als „Sprecher der Geschäftsleitung“ angestellt oder wenn, dann werden sie als „Consulting-Unternehmen“ vom Eigentümer/in dafür bezahlt, die Arbeit des Planierraupen-Fahrers zu übernehmen, um es nicht selber tun zu müssen. So wie es z.B. in dem Film „Toni Erdmann“ wunderbar dargestellt wird. Besonders günstig ist es für Eigentümer/innen allerdings, wenn sie sogar überhaupt nichts für die Ablenkung des Zorns bezahlen müssen und die Schließung eines Werks für Auto-Zierleisten u.ä. der „Umstellung der Leitindustrie Deutschlands von Verbrennungsmotoren auf Elektroantrieb“ in die Schuhe schieben können, wie es die IHK-Siegen so elegant getan hat. Und diese sei nun gespannt auf eine „gesellschaftspolitische Diskussion“ darüber, die „unausweichlich“ sei.

Die Linke in Wittgenstein hält das allerdings für den Versuch, den eigentlichen Fragen auszuweichen und der potentiellen Empörung eine ihr genehme Richtung zu geben.

Die eigentlichen Fragen sind nämlich:

- Wie kommen die Betroffenen in einen Dialog miteinander, um ihren Zorn, ihre Angst und Empörung zur Sprache zu bringen, um ihre gemeinsamen Interessen zu erkennen und zu verteidigen?

- Wie können wir als nicht direkt Betroffene mit ihnen ins Gespräch kommen und solidarisch mit ihnen sein?

- Wie können wir gemeinsam Stück für Stück die abstrakten und anonymen kapitalistischen Prozesse transparent machen und unter demokratische Kontrolle bringen?

- Und wie können wir das politisch umsetzen, ohne uns selbst dem an zu ähneln, was wir verändern wollen?

Auf diese gesellschaftspolitische Diskussion, nicht nur mit mit der IHK, wären wir gespannt.

Wir, die Mitglieder des Ortsverbands DIE LINKE in Wittgenstein stehen den Betroffenen für Gespräche jeder Zeit gerne zur Verfügung. Hierfür können sich die Betroffenen zur ersten Kontaktaufnahme bei unserem 1. Vorsitzenden des OV DIE LINKE in Wittgenstein

Thorsten Fischer

Tel.: 0176-74787415

e-mail: th.fischer.dipling

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