Gibt es noch ein Leben außerhalb des Wirtschaftslebens?

KV Siegen-Wittgenstein, Ekkard Büdenbender

Man muss einen Leitartikel wohl schon mit Scholz und Trump beginnen, um am Ende Hartz IV und die Leistung der Arbeitsagenturen in Bezug auf Hartz IV loben zu können. Wobei laut dem Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe sich gerade die Arbeitsagentur in Siegen einen bundesweiten Spitzenplatz erkämpft hat. Allerdings nicht mit der Vermittlung zwischen Arbeitssuchenden und Arbeitgebern, sondern in der Steigerungsrate der Sanktionen (31,4% Zunahme).

Dass aber gerade diese Sanktionen weiterhin notwendig sind, um Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen, versucht dieser Leitartikel dadurch zu belegen, indem er viele Themen auf irritierende Weise mal kurz anreißt. Das Maß, dass der Verfasser bei seiner Betrachtung und Bewertung der Arbeitslosen und der Gesellschaft zugrunde legt, ist wie in seinem Artikel deutlich wird, das Wirtschaftsleben. Da ich schon etwas älter bin, erinnere ich mich aber noch an andere Leben, an andere Maßeinheiten. Es gab einmal Privatleben, Familienleben, Leben im Einklang mit der Natur, ein gottgefälliges Leben und einige mehr. Heute scheint es nur noch das Maß der Wirtschaft zu geben. In dieses Maß muss alles passen, diesem Maß wird alles geopfert, unsere Tagesstruktur, unsere Familienplanung, unser Gesundheits- und Bildungswesen, unsere Umwelt, unser Klima, nahezu unser ganzes Leben.

Der Verfasser vertritt die Meinung, es reiche nicht, Langzeitarbeitslose als edle Menschen zu betrachten, um sie aus der Arbeitslosigkeit zu führen, die Gesellschaft müsse schon mit Druck und Sanktionen auf die Arbeitslosen reagieren. Aber müssten wir uns diese Einstellung nicht der Wirtschaft gegenüber angewöhnen. Es wird doch niemand behaupten wollen, dass die Wirtschaft Arbeitsplätze schafft, weil sie edel ist und Reichtum übers Volk bringen will. Wirtschaft will Profit, dass ist deren Grundlage. Und diesen Profit erreicht sie z.T. deshalb, weil Menschen durch Hartz IV in Beschäftigungsverhältnisse gezwängt wurden, die sie freiwillig bei klarem Verstand niemals eingehen würden. Diesen Profit erreicht sie, weil sich der Großteil der Bevölkerung wohl damit abgefunden hat, dass ein Rentenniveau von 48% bereits als großzügiges Geschenk betrachtet werden muss. Wobei all diejenigen, die darauf vertraut haben, dass ihre Rente sicherer wird, wenn sie ihr Geld den Banken und Versicherungen anvertrauen, allmählich auch nervös werden dürften, da sie kaum noch Zinsen erhalten. Zynisch klingende Formulierungen, wie in diesem Leitartikel, die von einen Zinsverzicht der Sparer reden, passen da wie die Faust aufs Auge. Welcher Sparer verzichtet denn freiwillig auf Zinsen? Welche Macht hat er denn, höhere Zinsen zu fordern? Oder sollen die Sparer durch Druck und Sanktionen dazu gezwungen werden, in hochriskante Anlagen zu investieren, bei denen wieder einmal einige viel gewinnen und viele nahezu alles verlieren, weil das Maß des Wirtschaftslebens das so will?

Der Untertitel des Leitartikels lautete „Wenn Politik auf edle Menschen setzt“ und wollte uns davor warnen, am Sanktionssystem von Hartz IV zu rütteln. Ich bezweifle, dass das Problem unserer Gesellschaft in unedlen Motiven von Arbeitslosen liegt. Ich denke vielmehr, es ist an der Zeit nach edleren Motiven für unser Handeln zu suchen, als das, welches das Maß des Wirtschaftslebens uns vermitteln will.

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