Leserbrief: Keine Antworten: „Was für ein Unsinn!“ (Leserbrief Chr. Zaum vom 20.07.2019)

Heiko Boumann, OV Wittgenstein

Christian Zaum (stellvertr. Sprecher im AfD-Kreisverband Siegen-Wittgentein) kritisiert, dass Die Linke.Wittgenstein die AfD in weiten Teilen für undemokratisch hält. Zuvor beschwert er sich darüber, dass „im redaktionellen Teil einer Zeitung (...) ausschließlich zwei Funktionäre der Linkspartei“ zu Wort kommen. Das sei nicht „überparteilich“. Ich frage mich: In welchem Teil der Zeitung sollten Politiker der Linken denn sonst zu Wort kommen? Im Anzeigenteil? Und was heißt „ausschließlich“? Neben dem Artikel über die Äußerungen der Linken gab es in der fraglichen Ausgabe noch jede Menge anderer Artikel, in denen andere Menschen zu anderen Themen zu Wort kamen. Oder fordert Zaum etwa, dass jedes Mal, wenn sich jemand in einer Zeitung über die AfD äußert, sogleich der Kommentar eines AfD-Funktionär daneben steht?

Ist das die Überparteilichkeit, die die AfD meint? Was die AfD von Pressefreiheit hält haben wir erleben dürfen, als ein Kölner AfD-Mitglied beim „Afd-Bürgertreff“ in Berleburg im Mai diesen Jahres unverhohlen dem SZ-Journalisten damit drohte, „dass sich bald in den Medien etwas ändern werde“. Was er damit meinte konnte man dann kurze Zeit später in dem berüchtigten „Ibiza-Video“ der österreichischen AfD-Schwesterpartei FPÖ miterleben, als der Ex-FPÖ-Chef und Ex-Vizekanzler Strache darüber schwadronierte, wie die Rechtspopulisten gedenken, sich die Kronenzeitung mit viel Geld Untertan zu machen! Und die aktuelle Zunahme faschistischer Hassreden, Hetze, Angstmache und Bedrohungen gegen unliebsame Journalisten, Politiker und sonstige Andersdenkende lehrt uns wie kurz der Weg von der Aushöhlung der Pressefreiheit bis zur Außerkraftsetzung von Menschenrechten ist. Dass Herr Zaum überdies eine an Humanität und universeller Menschenwürde orientierte Kritik an der gezielt abwertenden Konnotierung von Flüchtlingen durch die AfD, die im Kern auf deren Dehumanisierung hinausläuft, als „moralisch aufgeladenen Sermon“ verhöhnt spricht Bände. Das erinnert in der Wortwahl fatal an die „Lingua Tertii Imperii“ (Sprache des Dritten Reiches), wie der jüdische Romanist Victor Klemperer die menschenverachtende Sprache der Nazis nannte. Herr Zaum sei daran erinnert, dass unser Rechtsstaat, auf den er angeblich soviel Wert legt, eben aus der furchtbaren Erfahrung der Nazi-Vernichtungspolitik heraus in seinen Grundrechten dieser humanistischen Moral folgt, weil er alle Menschen als gleich ansieht. Gleich an menschlicher Würde und gleich an Menschenrechten. Unabhängig von ihrer Herkunft.

Seine Behauptung, in der AfD werde „Basisdemokratie praktiziert und gelebt“, halte ich für eine politische Perversion. Begriff und Praxis der Basisdemokratie wurden von Grünen und linken Alternativen in den 80‘er Jahren aus dem rätedemokratischen Ansatz Rosa Luxemburgs u.a. entwickelt. Sich dieser Begriffsgeschichte zu bedienen und in historischer wie politischer Blindheit zu missbrauchen ist ein Akt semantischer Vergewaltigung. Für die AfD-Funktionäre reicht es offenbar schon, wenn Wahlen stattfinden und ihr Programm Volksabstimmungen fordert, um das für „Basisdemokratie“ zu halten. Was von der fassaderen Demokratiebeflissenheit der AfD in der Praxis zu halten ist haben schon viele Ex-AfD-Mitglieder bezeugt. Stellvertretend sei hier nur der bayrische AfD- Ex-Fraktionschef Markus Plenk zitiert, der sagte:“Ich habe es satt, die bürgerliche Fassade einer im Kern fremdenfeindlichen und extremistischen Partei zu sein.“ Herr Zaum spricht auch die historischen Wurzeln der Partei Die Linke an und verortet sie ausschließlich in der SED und DDR. Abgesehen davon, dass dies nur ein Teil ihrer Geschichte ist, muss festgehalten werden, dass Die Linke sich intensiv und kritisch mit der SED auseinandergesetzt hat. Mit wenigen Maus-Klicks kann man auf „die-linke.de“ herausfinden, Herr Zaum, dass sie u.a. sagt:“Die DDR ist nicht an der Übermacht ihrer Gegner, sondern an ihren eigenen Mängeln undFehlern, am Unrecht in Politik und System, am systematischen Misstrauen ihrer politischen Führung gegenüber der eigenen Bevölkerung gescheitert.“ Eine solch kritische Aufarbeitung und aufrechte Haltung zu Fehlern in der eigenen politischen Organisationsgeschichte würde ich mir auch von Herr Zaum wünschen. Dazu hätte er z.B. als führendes Mitglied des Altherrenverbandes der Marburger Burschenschaft Rheinfranken ausreichend Gelegenheit gehabt, bevor er Ende 2016 wegen einer „Affäre“ (Chr. Zaum) austrat. Er hätte v.a. sagen können, dass die 1920 in Mechterstädt (Thüringen) von der sog. „Marburger Studentenkompanie“ („StuKoMa“) begangenen Morde an 15 willkürlich verhafteten Arbeitern, die für „Rote“ gehalten und von vorne „auf der Flucht erschossen“ wurden, in Wahrheit feige Hinrichtungen waren und demzufolge ein Verbrechen, verübt von einem fanatisierten faschistischen Studenten-Freikorps. Stattdessen rechtfertigte die Burschenschaft Rheinfranken noch in der Zeit der Bundesrepublik in einer Erklärung das Verbrechen, indem sie die ermordeten Arbeiter als „Umstürzler“ bezeichnete, die Erschießungen von vorne bestritt und schrieb:„Diese Behauptung stammt von der SED, die in Mechterstädt sogar einen Gedenkstein für die Umstürzler aufstellte“. Mir ist nicht bekannt, dass Herr Zaum in seiner damaligen Funktion im Altherrenverband der Burschenschaft Rheinfranken oder vorher als Fux bzw. Bursche sich in irgendeiner Weise kritisch dazu geäußert hätte noch gar irgendeine Initiative entfaltet hätte diese faschistische Geschichte von Marburger Studentenverbindungen öffentlich aufzuarbeiten. Im Gegensatz zur Linken, die offen mit ihrer SED-Geschichte umgeht, scheint für Christian Zaum das Motto zu gelten: De mortuis nil nisi bene.

Heiko Boumann, Bad Laasphe