Pressemitteilung

OV Wittgenstein

Die Linke. Ortsverband Wittgenstein begrüßt die Forderungen des SPD-Ortsvereins Erndtebrück an den Bundesvorstand der SPD, die Agenda 2010 in wesentlichen Punkten zu korrigieren. Wir sehen diesen Vorstoß als Beginn eines Umdenkprozesses innerhalb der SPD, der v.a. von ihrer Basis getragen wird. Daher unterstützen wir auch ihre Forderungen nach Anhebung der Hartz IV-Regelsätze, einer Entbürokratisierung der Antragsverfahren, dem Abbau des unwürdigen Hartz IVSanktionsregimes,  einer statistisch korrekten Neuberechnung des Existenzminimums und nach der Vermeidung von Armutsrenten. Dies alles sind aus unserer Sicht richtige und wichtige erste Schritte auf dem Weg zu einer Revision der unsäglichen neoliberalen Agenda-Politik, die nach Vorformulierung durch die BertelsmannStiftung unter SPD und Grünen 2003 mit der Begründung eingeführt wurde, mehr Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze zu schaffen sowie die Sozialversicherungen angesichts des demografischen Wandels für die Zukunft zu stabilisieren. Wie sieht nun das Ergebnis 15 Jahre später aus? Ja, ein bescheidenes jährliches Wirtschaftswachstum wurde erzeugt. Ja, Arbeitsplätze wurden geschaffen und die Beschäftigungsquote ist so hoch wie nie. Ja, Renten-, Kranken – und Pflegeversicherung sind noch leistungsfähig, die gesetzlichen Krankenversicherungen verfügen sogar über beachtliche Rücklagen. Es gibt höhere Steuereinnahmen.

Also alles gut? Vielleicht auf dem Papier. Nicht aber bei genauerer ökonomischer Betrachtung und v.a. nicht in der Lebenswirklichkeit der Menschen. Die vermeintlichen Beschäftigungserfolge der Agenda 2010 beruhen bzw. beruhten in erster Linie auf einer vorübergehend anziehenden Weltkonjunktur, dem demografisch bedingten Rückgang des Arbeitskräfteangebots (Geburtenrückgang), der Umverteilung des Arbeitsstundenvolumens auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse (Teilzeit, Befristung), einer geringeren Produktivität durch billige Arbeit (Niedriglohnsektor, Arbeitsimmigration), kapitalfreundlichen Lohnsubventionen (Aufstocker) und der Herausrechnung von Arbeitslosen aus der Statistik. In der Folge sanken für einen beträchtlichen Teil der Beschäftigten bis heute die Reallöhne, die relative Armut stieg erheblich, die geringen Vermögen der unteren Bevölkerungsschichten schmolzen ab, soziale Rechte und Arbeitsrechte wurden und werden beschnitten und „Hartz IV“ wurde zum Instrument einer durchgreifenden sozialen Disziplinierung durch allgegenwärtige Abstiegsängste. Vorher und nachher wurde der ganze Prozess übrigens durch Gesetze zur Deregulierung des Finanzmarktes („Finanzmarktförderungsgesetze“), dem Verkauf öffentlichen Vermögens („Privatisierungen“) und erhebliche Steuergeschenke an die Kapitalseite („Steuerreformen“) begleitet. Alles zusammen beruht wiederum auf dem Konzept einer ausschließlich exportorientierten Wirtschaft mit chronischem Außenhandelsüberschuss, die auf Pump Waren und Dienstleistungen in andere Länder verkauft, deren Verschuldung dadurch fördert und diese dann nutzt, um auch dort neoliberale „Reformen“ gegen die Interessen der Mehrheit der Menschen durchzusetzen. Über diese Seite der Agenda 2010 wird jedoch kaum gesprochen.

Dagegen sind deren Wirkungen für die meisten Menschen in ihrem Alltag sehr wohl zu spüren. Wir spüren, wie unser Land durch diese massive Umverteilungen von Unten nach Oben noch tiefer in Arm und Reich gespalten wurde als es vorher jemals der Fall war. Soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit nehmen zu. Und wir spüren den zunehmenden sozialen Stress, dem wir täglich bei der Arbeit („betriebliche Umstrukturierungen“), in der Schule usw. ausgesetzt sind und der v.a. die Familien belastet. Ruhe, Muße, Geduld, Rücksicht verschwinden zunehmend aus dem sozialen Miteinander.

Die ganze Entwicklung wurde durch die Weltwirtschaftkrise 2007/2008 („Finanzmarktkrise“) verschärft, deren Ursachen nicht behoben und deren Folgen von der Allgemeinheit und nicht von den verantwortlichen  Spekulanten bezahlt werden. Kein Wunder, dass sich unterhalb der veröffentlichten Wahrnehmungsschwelle Überforderungsgefühle und Zukunftsängste ausbreiteten, die sich in etwa zu dem Satz „Wir schaffen das nicht mehr!“ zusammenfassen lassen. Als dann 2015 Hunderttausende vor Krieg und Armut aus afrikanischen und arabischen Ländern in ihre Nachbarländer und auch nach Deutschland flüchteten und Frau Merkel ihren berüchtigten Satz „Wir schaffen das!“ aussprach, gab es neben denen, die sich ermutigt fühlten, dann auch viele, die sich verhöhnt fühlten. Rechtspopulisten und Rechtsradikale brauchten dann nur noch das Etikett „Flüchtlinge als Mutter aller Probleme“ darauf zu kleben und ernten seitdem das, was die neoliberale Agenda-Politik seit Jahrzehnten für sie gesät hat.

Eine Abkehr von der Agenda 2010 ist daher auch eine Bekämpfung der Ursachen des grassierenden rechts autoritären Sündenbock-Denkens. Auch deshalb unterstützen wir die  Forderungen der SPD-Erndtebrück und hoffen, dass sie dabei nicht stehen bleibt.

Die Mitglieder des Ortsverbandes der Partei DIE LINKE im Altkreis Wittgenstein